Wenn alle Systeme des Körpers wohlgeordnet sind, herrscht Gesundheit. (A. T. Still)
Osteopathie: Entstehung und Geschichte
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte der amerikanische Arzt Andrew Taylor Still eine neue Philosophie, die Osteopathie. Sie erwies sich schon bald als sehr erfolgreiche medizinische Therapie. Bereits 1892 gründete er in Kirksville, Missouri, die erste Hochschule für Osteopathie.
Still verfügte über profunde Kenntnisse in angewandter Anatomie und anderen medizinischen Fachbereichen. Seine intensive Forschung führte zu der Erkenntnis, dass alle Systeme des Körpers durch Bindegewebe (Faszien) miteinander verbunden sind und dass ständige Bewegung die Grundlage aller körperlichen Abläufe ist. Er erkannte die wechselseitige Beziehung zwischen Struktur und Funktion. Daraus folgt, dass eine Störung an einer Stelle dieses fein abgestimmten Systems auch zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen an anderen Stellen des Organismus führen kann.
Still war überzeugt, dass unser Organismus über ausgeprägte Selbstheilungskräfte verfügt, die aber nur wirksam werden können, wenn vorhandene Bewegungsstörungen beseitigt sind.
Im Gegensatz zu seinen ärztlichen Kollegen legte Still den Fokus seiner Arbeit nicht auf die symptomatische Behandlung von Krankheiten, sondern auf die Lokalisierung und Beseitigung der Ursachen. Sein Ziel war, durch Osteopathie Gesundheit zu ermöglichen. Er sah den Menschen als Einheit von Körper, Geist und Seele und vertrat die Überzeugung, dass Krankheit eine Folge der Dysbalance dieser drei Elemente ist. Die Osteopathie ermöglicht die Wiederherstellung der Balance und damit die Aktivierung der salutogenetischen Ressourcen des Körpers zur Wiederherstellung und Erhaltung der Gesundheit.
Still war ein visionärer und komplexer Denker, der Theorien der Kybernetik, der Systemtheorie und der Chaostheorie viele Jahrzehnte vor deren wissenschaftlicher Definition vorweggenommen hat. Dieses vernetzte Denken ist eine der wesentlichen Grundlagen der Osteopathie.
Osteopathie: Entwicklung und Praxis heute
Die Osteopathie des 21. Jahrhunderts gründet sich auf die grundlegenden Erkenntnisse von A.T. Still im 19. Jahrhundert und verbindet diese mit den anerkannten wissenschaftlichen Standards der modernen Medizin.
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts brachten Schüler Stills die Osteopathie nach Europa. Sie gründeten, zunächst in England, eigene Ausbildungsinstitute und entwickelten Stills Konzept der Osteopathie weiter. Neben der ursprünglichen Osteopathie, auch parietale Osteopathie, die sich überwiegend mit dem Bewegungsapparat beschäftigt, entstanden so die Bereiche der kranialen und später auch der viszeralen Osteopathie.
Die kraniale Osteopathie konzentriert sich auf den von Puls und Atmung unabhängigen Rhythmus der Körperflüssigkeiten. Besondere Beachtung findet hier der Rhythmus des Liquor zwischen Kopf und Kreuzbein (craniosacrale Osteopathie).
Bei der viszeralen Osteopathie steht die Funktionsfähigkeit und Gesundheit der inneren Organe im Vordergrund. Häufig wird hier eine Wechselwirkung mit Funktionsstörungen im parietalen Bereich, also im Bewegungsapparat, festgestellt. In diesem Fall müssen beide Systeme behandelt werden.
Wie alle medizinischen Fachgebiete wird auch die Osteopathie im Rahmen aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse ständig weiterentwickelt. Heute gibt es nicht nur in den USA, sondern auch in vielen europäischen Ländern anerkannte Schulen für Osteopathie.